Historisches

Historisch betrachtet ist es noch gar nicht so lange her, da lebte Japan unter der Herrschaft der Shogun, abgeschottet von der Außenwelt. In dieser selbst gewählten politischen und kulturellen Isolation – begünstigt durch die geographische Insellage - entwickelten die Japaner neben einer eigenen Kultur, Sprache und Religion auch eine ganz besondere Art der Ästhetik.
„Ein einzelner Grashalm genügt, um die Windrichtung zu bestimmen.“

Die japanische Ästhetik begründet sich auf

Einfachheit | Asymmetrie | Nähe zur Natur | Vergänglichkeit und Leere

Hierfür gibt es verschiedene Begriffe: „Wabi-Sabi“ und „Ma“ erklären dieses ästhetische Konzept (siehe „Philosophie“) am ehesten.Dieses besondere ästhetische Konzept reflektierte auch auf den Wohnbereich. Die traditionelle japanische Wohnkultur war geprägt von ästhetischer Leere, geschaffen durch Konstruktion, Licht und Schatten. Offene Grundrisse ermöglichten dem Bewohner, frei über den Raum zu verfügen. Ursprünglich gab es keine in der Funktion festgeschriebenen Räume, wie Schlafzimmer, Wohnzimmer etc. Der Mensch und sein Tun bestimmten den Zweck und die Ausstattung des Raumes. Handwerk, Essen, Schlafen, Meditation, die Teezeremonie oder die Bewirtung eines Gastes wurden durch wechselnde Utensilien bestimmt.

Aufbewahrungsort dieser Utensilien war der Tansu, das japanische Möbel schlechthin.

Verwendungszweck

Die meisten Tansu waren sofort transportierfähig, entweder getragen auf Schulterstangen (durch die Seitengriffe hindurch) oder gerollt auf eingebauten Holzrädern. In großen Kuruma-Tansu („rollende Truhen“) hoben wohlhabende Familien die meisten ihrer Besitztümer auf. Im Falle eines Feuers war es leicht, solch einen Truhe außer Gefahr zu bringen. Jedoch starben 1657 bei einem großen Feuer, das fast ganz Tokio zerstörte, viele Menschen in den engen Gassen, die mit Tansu verstopft waren. Mit Blick auf dieses Ereignis verbot die Regierung rollende Tansu in Tokyo, Kyoto und Osaka, Japans Metropolen mit den meisten Einwohnern. Nur wenige dieser Tansu sind heute noch erhalten. In der Edo-Periode (1603-1868) benutzten Samurai Tansu um ihren vornehmen Status darzustellen. Manche lagerten nur Bücher, Schwertklingen und Teeutensilien darin, andere medizinische Kräuter oder Geschäftsbücher. Viele Tansu dienten mit ihren tiefen Schubladen für die Lagerung der speziellen ausladenden Zeremoniekleidung der Samurai. In vornehmen Familien wurde anlässlich der Geburt einer Tochter ein Kiri-Baum gepflanzt. Aus dessen schnell wachsendem Holz wurde anläßlich ihrer Hochzeit ein Tansu gefertigt, der den Stand ihrer Familie repräsentierte und in dem sie ihre Besitztümer zur Familie des Ehemannes schickte.

Händler und Seefahrer adaptierten die Truhen zur Aufbewahrung ihrer Aufzeichnungen. Um ihre Kunden zu beeindrucken, erhielten die Truhen mehr Ornamente. Um diese Truhen auf ihren Reisen zu schützen, wurden die gefährdeten Stellen mit Eisen beschlagen - ein Stilmittel, das bis heute beibehalten wurde.

Materialien/Ästhetik

Jeder Tansu spiegelte den tiefen Respekt des Konstrukteurs für die Natur des Holzes wider. Die Verwendung von Furnierholz war undenkbar und die Truhen wiesen, unähnlich europäischen Möbeln, nur sehr wenige Nähte auf.

Aus der Zusammenarbeit von drei Handwerkern (Schreiner, Schmied und Lackierer) entstand das Tansu. Der Schreiner trug nicht nur für die Verarbeitung die Verantwortung, sondern vor allem für die Auswahl des Holzes, die entscheidend für den Charakter des Tansu war. Hierfür standen Zypresse, Keyaki u. Zelkova (Japan. Ulme), Sugi (Japanische Zeder) und Kiri (Paluownia) zur Auswahl. Bei prächtigen Truhen wurde Zelkova (keyaki) verwendet, deren flammenartige Holzfasern einen glühenden orangebraunen Farbton besitzen. Durch seinen hohen Wert, wurde es fast ausschließlich nur für Schubladenfronten und Vorderansichten genutzt. Cryptomeria oder Japanische Zeder (sugi) und Kiri (Paulownia) wurden für das Gehäuse und die Schubladen verarbeitet, aber auch als Frontholz eingesetzt. Der Duft von Cryptomeria wehrt Motten ab und das leichtgewichtige Kiri passt sich durch seine stoffeigene Flexibilität den japanischen Eigenheiten wie der Humidität und der stets drohenden Gefahr eines Erdbebens an, ohne zu bersten. Der Europäer ist über die Leichtigkeit des Tansu überrascht, assoziiert er doch mit antiken Möbeln eine entsprechende Schwere des Materials.
Der Schmied fertigte in filigraner Handarbeit schwarze Eisenbeschläge an, oft mit einem floralen Muster, welches die notwendige Verstärkung und Befestigung in die gesamte ästhetische Wirkung einbettet. Geschickt führte er die gegensätzliche Wirkung des schweren Eisenmaterials mit dem leichten natürlichen Holzmaterial zusammen.

Der Lackierer veredelte mit dem sanften Glanz des Urushi, dem transparenten japanischen Lack, die Oberfläche. Der Innenbereich blieb gewöhnlicherweise unbehandelt.

Herausragendes Kennzeichen fast aller Tansu ist die bewusste Asymmetrie. Mit einfachen Mitteln und tiefem Respekt gegenüber den verwendeten Materialien wurden kleine spannungsreiche und dennoch beruhigende, filigrane Kunstwerke geschaffen - Kunstwerke, die in ihrer Harmonie, Einfachheit und Asymmetrie die Dynamik des Lebens symbolisieren.